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Meine Notfallgeschichte

Der kleine Junge probiert es noch einmal: Energisch umschließt er das Ventil mit den Lippen und pustet kräftig, aber es tut sich immer noch nichts. „Schatz, nimm doch die Luftpumpe“, sagt seine Mutter im Vorbeigehen und packt ein paar Handtücher in eine große Tragetasche. Doch der Junge ignoriert sie – er hat sich nun mal in den Kopf gesetzt, seine Badeente selber aufzupusten. Schließlich kommt seine Mutter zu ihm hinüber, streicht ihm sanft über den Kopf und nimmt die zerknitterte Hülle des Badereifens an sich.

„Wir machen das im Schwimmbad“, sagt sie. „Aber... Nein, Mama!“, ruft er entsetzt und seine Augenbrauen ziehen sich trotzig zusammen. Er will seine Badeente schon zu Hause aufpumpen, damit sie auf dem Weg zum Freibad im Auto neben ihm sitzen und aus dem Fenster schauen kann, sonst weiß sie doch gar nicht, wo es hingeht. Die Mutter seufzt und packt die Badeente samt der Luftpumpe schließlich trotz aller Proteste des Kleinen in die Tasche.

So sitzt die blau-weiße Ente auf der Fahrt nicht neben dem Jungen auf der Rückbank, sondern steckt zerknautscht in der Badetasche. Und der Junge schmollt. Allerdings nur kurz. Denn schon bald darauf fällt ihm wieder ein, dass er sich schon seit Tagen auf das Freibad gefreut hat. Viele seiner Freunde sind fast jeden Tag dort, seine Mutter hat jedoch nicht immer Zeit dafür, weil sie viel arbeiten muss. Und sie hat auch nicht das Geld, um ständig mit ihren Jungs ins Schwimmbad zu gehen. Heute ist das jedoch anders. Sie hat Zeit und geht nur mit ihrem Jüngsten ins Freibad, während sein großer Bruder den ganzen Nachmittag bei einem Freund ist, um für die Schule zu lernen. Bei dem Gedanken daran huscht ein verschmitztes Grinsen über das Gesicht des kleinen Jungen.

***

Im Freibad angekommen, tritt er durch die Drehtür, die er etwas seltsam findet, weil sie nur aus gebogenem Metall besteht. „Oje“, hört er seine Mutter ausrufen und folgt ihrem Blick in Richtung der vier großen Becken.

„Was ist denn, Mama?“, fragt er.

„Schau mal, wie voll es hier ist!“, antwortet sie. Er runzelt seine kleine Stirn. „Na, und?“, erwidert er. „Ist doch immer voll hier.“ „Hoffentlich kriegen wir noch einen Platz auf der Liegewiese“, gibt seine Mutter zu bedenken. Doch der Kleine macht sogleich ein paar freie Stellen auf der Wiese aus und zeigt mit ausgestrecktem Arm darauf. „Sieh doch, Mama! Da und da und da …“

Er kann gar nicht verstehen, warum sich seine Mutter so daran stört, dass heute viel los ist. Er findet das toll! Je mehr Kinder da sind, desto lustiger ist es meistens.

Von Weitem hört er eine Durchsage: „Meine Damen und Herren, liebe Badegäste, in wenigen Minuten wird die Wellenmaschine eingeschaltet.“ Aufgeregt hüpft er neben seiner Mutter auf und ab. „Los, Mama, schnell!“ Er zieht ein wenig an ihrem Arm, damit sie sich beeilt und er noch ins Wellenbad kann, bevor die Wellenmaschine wieder aus ist.

„Die wird doch immer wieder angemacht“, sagt seine Mutter und denkt gar nicht daran, sich zu beeilen.

Auf dem Weg zur Liegewiese kommen sie an einem Kiosk vorbei, an dem der Junge plötzlich stehen bleibt. Er legt seinen Kopf schief und starrt auf ein Schild. Die Mutter dreht sich zu ihm um und beobachtet, wie er versucht, die Buchstaben zu entziffern.

„E-is“, sagt er stolz. „Mama, was ist E-is?“

„Eis, mein Schatz“, sagt sie und muss lächeln. Verwundert entgegnet der Kleine: „Hä? Wieso steht dann da E-is?“

„So schreibt man das. E und I spricht man dann zusammen aus.“

„Ist ja komisch. Krieg ich eins?“, fragt er frech.

„Ein E-is?“, fragt sie. „Ja, ein E-is kannst du haben.“

„Nein, ein Eis!“, protestiert er. Sie lächelt und zieht ihn weiter. „Vielleicht später, ja?“

Nachdem sie ihre Decke auf der Liegewiese ausgebreitet haben, schmiert die Mutter den Jungen mit einer ordentlichen Schicht Sonnencreme ein, obwohl sie das zu Hause auch schon getan hat. Er lässt es über sich ergehen und versucht dann noch einmal, die Badeente aufzupusten – dieses Mal nimmt er allerdings die Pumpe zu Hilfe, das klappt deutlich besser. Seine Mutter beginnt unterdessen, sich selbst einzucremen, doch ihrem Sohnemann dauert das alles viel zu lange.

„Mama, darf ich schon ins Wasser?“, fragt er ungeduldig.

Weil er bereits recht gut schwimmen kann, erlaubt sie ihm, dass er schon mal ins Nichtschwimmerbecken vorgeht und sagt, dass sie gleich nachkommen werde. Also schnappt sich der Junge seine Badeente und rennt mit nackten Füßen über die roten Fliesen zu den Becken hinüber. Die Wellenmaschine ist schon wieder aus, aber ins Wellenbad darf er ja sowieso erst, wenn seine Mutter endlich fertig ist. Etwas enttäuscht schlendert er deshalb zum Nichtschwimmerbecken hinüber, wo jede Menge Kinder im Wasser herumtoben. Er tunkt erst mal einen Fuß hinein. Das Wasser ist kühl, schnell zieht er den Fuß wieder heraus. Dabei fällt sein Blick auf die Wasserrutsche. Sie ist weiß und riesig und sieht ein wenig aus wie ein Elefant, der zwei ungleich lange Rüssel ins Becken reckt. Ein Mädchen rutscht gerade den kürzeren Rüssel hinunter und kreischt vor Freude. Mit einem großen Platscher landet sie im Becken. Dann schwimmt sie zum Beckenrand hinüber und stellt sich sofort wieder an der Rutsche an. Die Augen des Jungen werden groß. Er will auch rutschen! Flugs nimmt er seine Badeente und rennt zu seiner Mutter auf die Liegewiese zurück.

„Mama, darf ich rutschen?“, ruft er.

Sie schaut sich die Rutsche an und meint: „Ja, aber pass gut auf und nimm die Ente mit. Und rutsch erst los, wenn der vor dir weggeschwommen ist.“

Er jubelt und springt wieder davon. Auf direktem Weg läuft er um das Becken herum zur Rutsche hinüber und stellt sich gleich hinter dem Mädchen an. Sie dreht sich um und grinst ihm freudig zu. Ihr Haar ist nass und ihr Gesicht mit lauter kleinen Wassertröpfchen besprenkelt. Dann schauen sie beide die Leiter der Rutsche hinauf. Die Schlange vor ihnen ist lang. Als das Mädchen endlich dran ist, bleibt er unten stehen, bis sie losgerutscht ist, obwohl viele der anderen Jungs hinter ihm schon drängeln. Erst als sie unterwegs ist, klettert er nach oben. Die Rutsche ist ganz schön hoch. Oben angekommen, erscheint sie ihm sogar noch größer als von unten. Angst hat er deswegen aber trotzdem nicht – im Gegenteil, er freut sich auf die Rutschpartie! Stolz schaut er sich nach seiner Mutter um, die aber noch immer auf der Liegewiese zu sein scheint. Also packt er seine Ente und wirft sich bäuchlings mit ihr auf die größere der zwei Bahnen. Und gemeinsam rutschen sie kopfüber hinunter.

Dann geht alles sehr schnell: Das Wasser spritzt dem Jungen ins Gesicht, er sieht plötzlich nur noch Blubberblasen. Er weiß nicht mehr, wo oben und unten ist und seine Ente kann er auch nicht finden. Und schließlich wird alles um ihn herum schwarz.

***

Der Bademeister ist gerade dabei, ein Kind auszuschimpfen, das unerlaubterweise schon wieder vom Beckenrand ins Becken gesprungen ist und dabei ein anderes Kind am Arm getroffen hat.

„Das Becken ist voll“, sagt er streng. „Du kannst nicht einfach hineinspringen. Stell dir vor, jemand hüpft plötzlich einfach auf dich drauf. Das tut weh! Und es ist auch gefährlich.“

Der kleine Missetäter nickt betreten.

„Und jetzt entschuldige dich!“, sagt der Bademeister.

„Tschuldigung“, murmelt der Junge dem Mädchen zu, das er angerempelt hat.

Zufrieden richtet der Bademeister seine Aufmerksamkeit wieder dem Getümmel im Becken zu. Es scheint alles in Ordnung zu sein.

***

Die Mutter des kleinen Jungen mit der blau-weißen Badeente wendet ihr Gesicht von der Sonne ab und packt die Sonnencreme in die Tasche, obwohl sie weiß, dass sie gleich nach dem Baden wieder welche auftragen muss. Irgendwo hat sie gelesen, dass es jetzt auch wasserfeste Sonnencreme geben soll, sie hat allerdings Zweifel, ob das so stimmen kann. Wie soll das bitte funktionieren? Langsam steht sie auf, schlüpft in ihre Badelatschen und geht zum Becken hinüber. Am Beckenrand um die Wasserrutsche herum hat sich eine große Menschentraube gebildet. Es scheint etwas passiert zu sein. Der Bademeister eilt mit großen Schritten zu der Menge hin. Schnell lässt sie ihren Blick auf der Suche nach ihrem Sohn über das Becken schweifen, sie kann ihn jedoch nirgends entdecken. Es ist aber auch so voll hier! Überall sind Kinder. Endlich sieht sie die blau-weiße Badeente. Sie treibt herrenlos im Becken in der Nähe der Wasserrutsche. Ihr Sohn ist jedoch nirgends zu sehen. Sie schaut wieder zu der Menschentraube hinüber und wird plötzlich ganz starr. Ihr Herz beginnt heftig zu klopfen. Dann rennt sie los, bahnt sich ihren Weg durch die Menschen und steht endlich vor ihm: Ihr Sohn liegt blutüberströmt am Boden!

***

Als der Junge wach wird, ist da kein Wasser mehr. Er blinzelt. Das Licht einer Neonröhre blendet ihn. Wo ist der Himmel hin? Und die Wasserrutsche und seine blau-weiße Badeente? Er versucht seinen Kopf zu drehen. Sofort fährt ihm ein Schmerz durch den Schädel. Dann versucht er zu sprechen, doch sein ganzer Mund pocht und fühlt sich taub an. Schließlich hört er jemanden seinen Namen rufen. Seine Mutter ist da! Sie hält seine Hand und redet auf ihn ein. Es fällt ihm schwer, zu verstehen, was sie sagt. Da ist auch ein Mann, der auf ihn hinabschaut. Der Junge kennt ihn nicht, aber er trägt die Uniform des Bademeisters, also muss er das wohl sein. Der Kleine greift die Hand seiner Mutter fester. Er würde gern fragen, was passiert ist und wo diese Schmerzen herkommen, doch er kann weder sprechen noch einen klaren Gedanken fassen. Schließlich versinkt er wieder im Nebel.

Im Rettungswagen wird er noch einmal kurz wach. Er hört die Sirene und spürt das Rütteln des Fahrzeugs. „Ich werde wohl ins Krankenhaus gebracht“, denkt er sich. Das hat er sich immer spannend und aufregend vorgestellt, in diesem Moment wäre er allerdings lieber ganz woanders.

Auch seine Mutter wünschte, sie wären ganz woanders – noch auf der Liegewiese oder gleich zu Hause geblieben. Sie macht sich Vorwürfe, dass sie den Jungen alleine hat rutschen lassen. Immer wieder denkt sie an den Moment zurück, in dem er sie gefragt hat, ob er rutschen darf. Warum hatte sie nicht einfach nein gesagt? Dann wäre ihm das alles erspart geblieben. Dann wäre er nicht mit dem Kopf auf den Beckenboden aufgeschlagen und bewusstlos geworden. Aber sie kann die Zeit nicht zurückdrehen. Sie wartet im Krankenhaus, während ihr Sohn zügig operiert wird. Zwei Zähne und das Lippenbändchen sind beschädigt. Und weil kein Zahnarzt zur Verfügung steht, werden die Zähne geschient und nicht gezogen. Als sie endlich zu ihm darf, wacht der Junge gerade auf. Sie setzt sich zu ihm. Er versucht etwas zu sagen, doch er kann nicht sprechen. Sie drückt seine Hand: „Es wird alles wieder gut“, sagt sie leise.

Und es wurde auch alles wieder gut. Zum Glück erholte sich der kleine Junge mit der Zeit von seinem Unfall.

Bestimmt fragen Sie sich, was ich mit alldem zu tun hatte – und vielleicht können Sie es sich schon denken: Der kleine Junge, das war ich.

Der Vorfall im Freibad war mein erster Notfall und meine erste Erfahrung mit der Feuerwehr. Ich hatte das gemacht, was man eigentlich nicht machen sollte: Ich bin kopfüber gerutscht. Dadurch verlor ich die Kontrolle und schlug mit dem Kopf auf dem Boden des Beckens auf. Ich war sofort bewusstlos. Wenn das niemand bemerkt und mich keiner aus dem Wasser gezogen hätte, wäre ich ertrunken. Tatsächlich war es nicht der Bademeister, der mich gerettet hat. In einem vollen Freibad mit zahllosen Gästen im Becken verliert auch die Schwimmbadaufsicht mal den Überblick – das weiß ich, weil ich selbst ein paar Monate nebenberuflich als Bademeister gearbeitet habe. Man sieht nicht immer, wenn jemand länger unter Wasser bleibt, als er sollte und von alleine nicht mehr auftaucht.

Ich habe also sehr viel Glück gehabt, dass jemand in der Nähe war, der das alles mitbekommen und mich aus dem Wasser geholt hat. Aus eigener Kraft wäre ich nicht mehr herausgekommen. Der Bademeister erzählte später, dass es ein Feuerwehrkollege gewesen sei, der bemerkt hatte, dass ich nach dem Rutschen nicht mehr an die Oberfläche gelangt war. Dieser Mann hat mir das Leben gerettet, und dafür bin ich ihm natürlich bis heute dankbar. Ob es wirklich ein Feuerwehrmann war oder auch jemand anders – jedenfalls hat er super reagiert, in der Notfallsituation einen kühlen Kopf bewahrt und nach gesundem Menschenverstand ...

...geholfen.